Fallbeispiel: Ein Manager mit Redeangst: Wie Hypnosetherapie helfen kann.
Es war ein grauer, verregneter Dienstagmorgen im November, als Martin, ein 30-jähriger Manager aus Süddeutschland, zum ersten Mal meine Praxis betrat. In seinem Gesicht glaubte ich eine Mischung aus Hoffnung und Nervosität zu erkennen.
Am Telefon hatte Martin mehrmals davon gesprochen, wie schwer es ihm fallen würde, Kontrolle abzugeben und loszulassen. Er war einer meiner Klienten, die sehr analytisch und kopflastig unterwegs waren, was in der Hypnosepraxis eine Herausforderung darstellen kann.
Am Anfang unserer Begegnung hatte ich den Eindruck, dass sich Martin viel in einem Umfeld aufhielt, in dem Konkurrenz und eine gewisse Härte herrschten. Ganz bewusst thematisierte ich dies, um uns die Gelegenheit zu geben, offen zu kommunizieren und ein Setting zu etablieren, in dem der Fokus auf einem wohlwollenden Miteinander liegt.
"Martin, Hypnose ist nichts, was ich mit dir mache. Hypnose ist Teamarbeit, in der wir als gleichberechtigte Partner die für dich besten Lösungen finden können, und sowohl dein Verstand als auch dein Unterbewusstsein können uns dabei helfen", bot ich ihm an.
"Ich werde versuchen, so offen wie irgend möglich zu sein, auch wenn ich es nicht gewohnt bin", antwortete er knapp.
Martin war in seiner Firma bekannt für seine Kompetenz, seinen Ehrgeiz und sein Engagement, doch sobald er vor seinen Kollegen und Vorgesetzten Präsentationen halten sollte, wurde er von lähmender Angst überwältigt. Die Angst davor, die Kontrolle zu verlieren, abgelehnt zu werden und als Versager zu gelten, ließ seinen Mund total austrocknen, sobald er nur an einen Vortrag dachte. Neben der Mundtrockenheit kamen bei seinen Auftritten eine ganze Palette an körperlichen Symptomen, wie Händezittern, Herzrasen und Kurzatmigkeit dazu.
Im Vorgespräch erzählte er mir von den schlaflosen Nächten, in denen er sich in endlosen Schleifen Katastrophenszenarien vorstellte und von der Anspannung in seinem Bauch, die wie eine unsichtbare Faust in seinen Magen drückte, wenn er sich vor seinem inneren Auge auf einer Rednerbühne sah.
"Das ist der reinste Horror, wenn sie mich dann alle anstarren und ich kann nichts dagegen unternehmen! Dann sage ich mir selbst, siehst du, das wird nie anders werden, du kannst es einfach nicht", sagte Martin mit verzagter Stimme.
"Wie alt fühlst du dich in so einem Moment?", fragte ich ihn. "Bist du dann der gestandene 30-jährige Mann, Manager in einem großen Konzern?"
"Nein, natürlich nicht", antwortete er. "Ich fühle mich dann wie ein kleiner verängstigter Junge.“
„Willkommen im Club", sagte ich, und wir mussten beide lachen.
Sich klein, hilflos und überfordert zu fühlen in so einer Vortragssituation ist eine Strategie, die viele Menschen mit Redeangst anwenden, ohne dass es ihnen bewusst ist. Wir stehen ja nicht morgens auf und nehmen uns vor, heute fühle ich mich mal wie ein Kind, wenn ich in eine schwierige Situation komme. Sich erwachsen und kompetent zu fühlen ist ein lohnenswerter Lernprozess, den ich mit vielen meiner Klientinnen und Klienten anstoße.
Wir vereinbarten zunächst daran zu arbeiten, dass Martin seine permanente Anspannung und seine Widerstände gegen alles, was weich, sanft und in seinen Augen als schwach angesehen werden könnte, zu verändern begann. Da Martin sich auf der Hypnoseliege zu Beginn nicht richtig wohlfühlen konnte, beschlossen wir weiterhin im Gesprächssetting zu arbeiten, wo es ihm mit einer Schnellinduktion etwas leichter fiel, in Trance zu gehen. Im Verlauf der weiteren Sitzungen fanden wir heraus, dass es ihm mit dem Einsatz von Klaviermusik zusehends besser gelang, die Aufmerksamkeit nach innen zu lenken.
"Ich sehe dann vor meinem geistigen Auge eine Klaviertastatur, deren schwarze und weiße Tasten sich ganz von alleine bewegen. Das entspannt mich tatsächlich", sagte er.
Die Anfangsphase unserer Zusammenarbeit war eine Herausforderung für beide Seiten, doch unsere gegenseitige Sympathie und der stabile Rapport halfen uns gut darüber hinweg. Ja, es gab auch Rückschläge zu verzeichnen und Tage, an denen Martin die Wirkung der Therapie in Frage stellte. Tage, an denen die Angst übermächtig schien und er sich fragte, ob er jemals wirklich in der Lage sein würde, seine Redeangst zu überwinden. Wir ließen uns jedoch nicht entmutigen und hielten an unserem Weg fest.
In jeder Hypnosesitzung arbeiteten wir intensiv mit Martins inneren Bildern, da er ein sehr visueller Typ ist. In imaginären Präsentationen mit Kollegen und Kolleginnen gelang es ihm, weniger Konkurrenz und mehr Verbindung wahrzunehmen.
Wir tauchten auch tief in seine Gefühlswelt und vergangene Situationen ein, welche für ihn bis dahin negativ behaftet waren. Bloßgestellt schon im Kindergarten, Mobbing in der Schule und eine traumatische Erfahrung beim Englisch-Vortrag machten seine Sprechangst für mich nachvollziehbar. In der Arbeit mit seinem jüngeren Ich konnte er Fürsorge und einen liebevollen Umgang mit sich selbst praktizieren. Die Vorstellung, ungenügend zu sein und zu versagen, wurde mehr und mehr durch Selbstfürsorge und den Glauben an sein Können ersetzt.
"Ich bin genau richtig so, wie ich bin, und ich darf meine Ideen auf einer Bühne mitteilen", wurden seine neuen Begleiter.
Nach mehreren intensiven Sitzungen konnte Martin den Fortschritt spüren. Die schlaflosen Nächte wurden seltener, die Anspannung vor Präsentationen ließ merklich nach, und er konnte wieder freier atmen, wenn er an den nächsten Vortrag dachte. Besonders gut gefiel ihm die Denkweise, von 'Aufregung' anstelle von Angst zu sprechen.
Einmal sagte er spontan: "Wenn es mir gelingt, beim Vortrag richtig tief in meine Themen einzutauchen und meine Begeisterung für meine Themen zu vermitteln, dann vergesse ich meine Angst."
"Ein Teil von mir fängt an, eine gewisse Vorfreude auf die nächste Präsentation zu entwickeln, auch wenn da immer noch Zweifel und große Aufgeregtheit sind", stellte er fest.
"Klasse Martin, das ist das Prinzip von 'sowohl als auch'. Die Kunst mit Ambivalenzen umzugehen, kann uns bei der Bewältigung von Problemen und Herausforderungen enorm hilfreich sein", antwortete ich.
Je länger wir arbeiteten, desto mehr konnte Martin Präsentationen nicht mehr als Bedrohung, sondern als Chance sehen. Während er zusehends seine eigene innere Stärke entdeckte, sah ich, wie er vor meinen Augen wuchs. Als Highlight unserer Zusammenarbeit ließ er sich darauf ein, im Rahmen meiner Praxis einen Vortrag zuerst für mich allein und in unserer Abschluss-Sitzung für eine Kleingruppe zu halten. Es war ein voller Erfolg, und unser Applaus hallte durch die Praxisräume.
Was gibt es Schöneres, als solch eine positive Referenzerfahrung? Es war offensichtlich, dass Martin das Potenzial hatte, ein erfolgreicher Redner zu sein, und aufgrund meiner langjährigen Bühnenerfahrung konnte ich ihm wertvolle Praxistipps geben. Ein ehemaliger Bühnenkollege hatte immer etwas Zitrone in der Garderobe, was ihm gegen die Mundtrockenheit half. So wurde Zitronenwasser zu Martins Stammgetränk vor einer Präsentation.
Auch die Tatsache, dass erfolgreiche Redner häufig ganz spezielles Training und Ausbildung erhalten, damit es so leicht und spielerisch aussieht während eines Vortrags, war ihm gar nicht so klar gewesen. Wir vereinbarten, dass er in seiner Firma gezielt für eine Weiterbildung diesbezüglich nachfragen würde.
Fazit:
Eine Hypnosetherapie zur Bewältigung von Redeangst ist ein sehr individueller Prozess, bei dem sowohl prägende Glaubenssätze als auch der Persönlichkeitstyp und viele weitere Faktoren eine Rolle spielen können. Last but not least möchte ich erwähnen: "Oft erwarten die Betroffenen auch Leistungen von sich, für die professionelle Rednerinnen und Redner jahrelang trainiert haben."
Was mich zuversichtlich stimmt: Wir können unsere Konditionierungen jederzeit ändern und Neues lernen. Für unsere Kinder wird es immer selbstverständlicher, mit modernen Präsentationstechniken umzugehen. Lasst sie uns fördern und ermutigen, sodass sie wie Martin ihre Angst vor Vorträgen und Präsentationen in angemessene Aufregung und Lust am Reden vor und mit anderen verwandeln können.
Herzliche Grüße,
Jojo Weiß
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