Fallbeispiel: Mein Leben war von meiner Handysucht kontrolliert. Durch eine Hypnotherapie konnte ich endlich wieder Kontrolle über mein Leben erlangen.
Tom (Name geändert) ist ein neununddreißig Jahre alter Informatiker, dessen exzessiver Handykonsum eine enorme Belastung mit sich bringt. Er wirkt sehr aufgekratzt, und sein Blick wandert ständig im Raum umher, so als wäre er auf der Suche. Von seinem Smartphone ist er so vereinnahmt, dass er während unseres Gesprächs immer wieder in Richtung des Geräts blickt, welches ausgeschaltet neben ihm auf einer Ablage liegt.
Wir hatten im Vorfeld vereinbart, unsere Telefone komplett auszuschalten, was er nach eigenen Angaben normalerweise nicht tut.
"Wenn ich in Gesprächen bin, habe ich mein Handy zwar meist stummgeschaltet, doch gebe ich ehrlich zu, dass ich immer wieder einen Blick darauf werfe, auch wenn ich das eigentlich nicht möchte. Ich bin gerade sehr aufgeregt", sagte Tom.
"Wenn du aufgeregt bist, ist das vollkommen in Ordnung. Schließlich erlebst du etwas Neues", erwiderte ich freundlich. Es schien, als gäben ihm diese Worte Gelegenheit, etwas mehr anzukommen.
Im telefonischen Erstgespräch hatte er mir die Brisanz seines Anliegens geschildert. Seine Frau war an einen Punkt angekommen, an dem sie ihn vor die Wahl stellte. Entweder er würde sich in Behandlung begeben oder sie würde mit den Kindern ausziehen.
"Merkst du überhaupt noch, was du den Kindern und mir da zumutest? Seit zwei Jahren habe ich dich immer wieder gebeten, etwas gegen deine Handysucht zu unternehmen. Jetzt reicht es!", hatte sie wütend und verzweifelt geschrien.
Tom gab zu: "Mein Handykonsum ist mir vollkommen entglitten. Ich schäme mich, wenn ich mir meine Bildschirmzeiten anschaue, und ich möchte dieses Verhalten nicht an meine Kinder weitergeben. Zwar habe ich Angst vor der Veränderung, doch ich bin bereit dafür, sonst verliere ich alles.
Der Umgang mit seinem Mobiltelefon war zu einer Lebensweise geworden, die seine Beziehungen und auch seine Arbeitsleistung enorm beeinträchtigte. Tom hatte bereits versucht, seine Handysucht durch Selbsthilfebücher und Online-Kurse zu bekämpfen, aber nichts schien zu helfen. Er war in einem Teufelskreis der Sucht gefangen, aus dem er keinen Ausweg sah, zumal das Handy auch in seinem beruflichen Alltag eine beträchtliche Rolle spielte.
"Es ist wie eine bunte Wunderwelt, die mich immer wieder einsaugt", beschrieb er verzweifelt. "Ich weiß, dass es meine Beziehung zerstört und meine Karriere gefährdet, aber ich kann einfach nicht damit aufhören. Selbst im Urlaub, anstatt den Strand zu genießen oder mit den Kindern zu spielen, bin ich online. Am Ende entpuppt sich diese bunte Wunderwelt dann immer wieder als schwarzes Loch, welches mich völlig ausgelaugt zurücklässt."
Die Herausforderung bestand zunächst darin, für Tom einen Weg aus der Handysucht sichtbar zu machen, den er gehen könnte. Es fehlte eindeutig an einer konkreten Vision und an Machbarkeit. Tom hatte überhaupt keine Vorstellung davon, wie er zu einem halbwegs normalen Handyverhalten kommen könnte. Hoffnungslosigkeit , Verzweiflung und Sinnlosigkeit lagen in der Luft.
Zuerst arbeiteten wir die Punkte heraus, an denen sich das Smartphone im Laufe der Zeit in sein Leben geschlichen hatte, und stellten fest, dass die Liste gar nicht aufhören wollte.
Eben mal schnell nach der Uhrzeit gucken, die Wetter-App checken, wie entwickelt sich der Krypto-Markt, Emails abrufen, Online-Meetings, im Live-Ticker die Spielstände der Fußball-Bundesliga gucken, Nachrichten checken, stundenlanges Scrollen durch diverse Sozialmedia-Plattformen – die Gelegenheiten und die Zeit, die Tom mit seinem Mobiltelefon verbrachte, waren schier endlos, und das Ausmaß seiner Smartphone-Sucht nahezu erdrückend.
Kontrollverlust, Dosiserhöhung (Toleranzsteigerung), Vernachlässigung sozialer Kontakte, psychische und körperliche Symptome – in Toms Fall Gereiztheit, häufige Kopfschmerzen, Nackenschmerzen, Appetitlosigkeit und innere Unruhe, um nur einige Aspekte zu nennen. Tom musste sich eingestehen, dass er außer seiner Familie und einem Freund, den er gelegentlich traf, sämtliche Sozialkontakte nur über sein Handy und den Computer pflegte.
"Kognitiv ist mir das alles klar, schließlich komme ich aus der IT-Branche. Ich weiß, dass die Ausschüttung von Dopamin, Likes für unser Belohnungszentrum im Gehirn und Konditionierung eine große Rolle spielen. Mir ist auch klar, dass das Handy förmlich darauf ausgelegt ist, uns süchtig zu machen. Jeden Tag arbeiten weltweit tausende von Experten daran, wie sie mit immer neuen Apps, Stickern, Tönen, Interaktionen und Effekten die Nutzungsdauer der User verlängern können", zählte er auf.
Fast trotzig fügte er hinzu: "Das ist ja nicht wie zum Beispiel beim Alkohol, da kann man sich entscheiden, ihn komplett wegzulassen. Mein Handy kann ich nicht weglassen, sonst kann ich meinen Job gleich an den Nagel hängen."
"Was wäre eine Alternative?", fragte ich nach. "Ich muss einen anderen Umgang mit dem Handy finden, eine andere Wahl habe ich nicht", antwortete Tom.
"Gibt es einen anderen Bereich deines Lebens, in dem dir das bereits gelungen ist?", war meine nächste Frage. "Hm, weiß nicht – doch ja, mit Schokolade. Früher musste ich eine Tafel immer aufessen, sobald ich sie angefangen hatte. Heute kann ich aufhören, bevor sie alle ist", erwiderte er.
"Klasse, stell dir vor, du würdest diese Fähigkeit wie mit Drag-and-Drop am Computer in dein Anliegen mit der Handysucht reinziehen", sagte ich und machte eine Bewegung dazu, als würde ich mit einer Computermaus eine Datei über den Bildschirm ziehen.
"Stimmt", sagte er. "Wenn ich es einmal geschafft habe, kann ich es auch bei dieser beknackten Abhängigkeit vom Handy schaffen!"
Tom, was bekommst du, wenn es dir gelingt, die Probleme mit deinem Smartphone-Konsum zu lösen?“, wollte ich wissen.
Er kratzte sich am Kopf und antwortete dabei fast fragend: „Ich kann aktiver und aufmerksamer Zeit mit meiner Familie verbringen, meine Frau würde sich wahnsinnig freuen, wenn ich das wirklich ändere. Ich würde vielleicht seit Ewigkeiten mal wieder ein Buch lesen oder ins Kino gehen, anstatt Filme immer nur auf YouTube oder Netflix zu gucken. Ich würde mir meine Freiheit zurückerobern.“
„Das klingt nach einer ganzen Menge“, antwortete ich. „Bist du bereit, den Preis zu zahlen, auch wenn es auf dem Weg herausfordernd wird, Tom?“, war meine nächste Frage.
Er antwortete kurz und knapp mit einem fest entschlossenen: „Ja, ich bin bereit!“
„Ok, dann lass uns, wie im Orientierungsgespräch vereinbart, in die erste formelle Trancearbeit gehen“, schlug ich vor.
Tom entschied sich für die Hypnose-Liege und ging sehr zügig in eine tiefe hypnotische Trance. Es war beeindruckend zu beobachten, wie sich seine allgemeine Unruhe legte, wie sich sein Körper beruhigte und entspannte, und Ruhe einkehrte. Hinter seinen geschlossenen Augenlidern konnte ich deutlich die für eine hypnotische Trance typischen Augenbewegungen sehen, wie sie auch verstärkt in der REM-Schlafphase vorkommen.
Ich schlug ihm vor, einen inneren Ort zu visualisieren, an dem er sich wirklich gut fühlt, einen Platz, an dem sein Smartphone keine Rolle spielt. Er ging nach innen und erzählte nach einigen tiefen Atemzügen von einem Wald, in dem er als Kind oft gespielt hatte. „Interessant, hier kenne ich gar kein Handy“, sagte er fast erstaunt. „Die Welt um mich herum ist viel intensiver, das Grün der Blätter und der kleine Bach, an dem ich mit meinen Freunden Staudämme baue, ist so klar, dass ich daraus trinken kann. Ich fühle mich vollkommen frei.“
Wir arbeiteten daran, dieses Gefühl der Freiheit zu intensivieren und zu verankern. Tom half die Vorstellung, das Handy sei ein Mensch, der ihm Freundschaft vorgaukelt und gleichzeitig seine Freiheit stiehlt und ihn von seinen Liebsten entfernt.
„Wie würdest du mit so jemanden umgehen?“, fragte ich während der Trance.
„Ich würde ihm eine ganz klare Ansage machen, entweder du verhältst dich wie ein Freund oder ich schmeiße dich raus“, murmelte Tom. Dabei fiel ihm auf: „Im Grunde genommen ist es das, was meine Frau mir sagt.“
Es war an der Zeit, die Trance auszuleiten, um noch Raum für das Nachgespräch zu geben.
„Wow, so runtergefahren bin ich schon lange nicht mehr. Das sollte ich wohl öfter machen. Mir ist gerade richtig klar geworden, meine Frau hat gar keine andere Wahl, als mir in aller Deutlichkeit zu zeigen, dass es so nicht weitergeht“, sagte Tom in der Nachbesprechung.
Im Verlauf der weiteren Sitzungen gingen wir noch einmal seinen gewöhnlichen Tagesablauf durch. Tom war jetzt an einem Punkt, an dem er sich zumindest andere Handlungsalternativen vorstellen konnte. Ebenfalls kam ihm die Idee, dass er ein Gespräch mit der Familie suchen würde, in dem er sie über seine Änderungsabsichten informieren würde. Zudem vereinbarten wir, seiner Frau die Teilnahme an einer der kommenden Sitzungen vorzuschlagen.
Sie stimmte diesem Vorschlag gerne zu. Im Rahmen dieses Zusammentreffens ergab sich Toms Wunsch, einen Klinikaufenthalt zu beantragen, um einen Neustart zu begünstigen. Dieser Aufenthalt fand in einer Privatklinik statt, die sich u.a. auf die Behandlung von Internetsucht, Handysucht und ADS / ADHS spezialisiert hat. Dort erhielt Tom neben Einzeltherapie auch die Möglichkeit, sich im Rahmen einer Gruppe überhaupt wieder einmal auf Freizeitaktivitäten mit anderen Menschen außerhalb des Internets einzulassen.
In der Abschlussbesprechung am Ende unserer letzten Sitzung resümierte Tom: „Ich wollte und konnte nicht sehen, wie sehr das Handy mein Leben kontrollierte, bis ich in der Lage war, es tatsächlich eine Zeit lang komplett wegzulegen, um das Leben um mich herum wieder bewusst wahrzunehmen und daran teilzuhaben. Jetzt gilt es für mich dauerhaft, einen bewussten Umgang, sowohl mit meinem Smartphone als auch mit den anderen Internetzeiten, zu finden.
Ich danke dir.“ In seiner Stimme schwang ehrliche Dankbarkeit mit.
„Wie besprochen, wenn du Fragen hast oder ein Feedback geben möchtest, kannst du mich gerne kontaktieren. Ich wünsche dir von Herzen eine gute Zeit mit deiner Familie und deinem neuen Leben. Auch ich danke dir sehr für deine Offenheit und deine Bereitschaft zur Mitarbeit“, antwortete ich berührt.
Mit diesen Worten standen wir auf, gaben uns einen festen Händedruck und ich begleitete ihn zur Tür.
Fazit:
An Toms Fall können wir deutlich sehen, wie dringend wir Lösungen im Umgang mit dem Smartphone brauchen. Die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen ist in den vergangenen Jahren drastisch gesunken. Einerseits sind Handys kleine Supercomputer im Hosentaschenformat mit gigantischen Möglichkeiten, andererseits bieten sie enormes Suchtpotenzial. Insbesondere Kinder und Jugendliche brauchen Anleitung für einen sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit Mobiltelefonen, Tablets, Laptops und anderen Endgeräten..
Diese Geräte sind ein fester Bestandteil unseres gesellschaftlichen Alltags geworden, und die Anwendungsmöglichkeiten scheinen schier grenzenlos. Übermäßiger Handykonsum ist eine sehr komplexe Herausforderung, die sich in allen Gesellschaftsschichten zeigt. FOMO (Fear of Missing Out), die Angst, etwas zu verpassen, und das Post-Text-Syndrom (ständiges Überprüfen der Reaktion auf einen gesendeten Beitrag) spielen neben den bekannten Kriterien einer Sucht häufig eine Rolle.
In der individuellen Hypnotherapie von Toms Handysucht zeigte sich auch, wie wertvoll es sein kann, schulenübergreifend zu arbeiten. Die Kombination von ambulanter Hypnotherapie und dem Aufenthalt in einer Klinik für Suchtthematiken erwies sich als erfolgreich.
Im Folgenden findest du sowohl Merkmale eines problematischen Smartphone-Verhaltens als auch bewährte Tipps gegen Handysucht.
Woran erkennst du einen problematischen Umgang mit dem Handy?
Ohne Handy geht gar nichts mehr. Du legst es kaum mehr aus der Hand oder hast es immer in unmittelbarer Reichweite?
Wie gehst du damit um, wenn du dein Handy außer Haus vergessen hast?
Kannst du es aushalten, mehrere Stunden oder einen kompletten Tag ohne zu sein, oder fühlst du den Drang, sofort umzukehren und dein Smartphone zu holen?
Unterbrichst du regelmäßig Gespräche, um dein Handy zu nutzen?
Nutzt du dein Handy beim Autofahren (ohne Freisprechanlage)?
Verspürst du den Zwang, dein Handy zu nutzen, sobald auch nur der geringste Leerlauf da ist?
7 Tipps gegen Handysucht
Lege dich auf vorgegebene Handyzeiten fest und halte diese verbindlich ein.
Gestalte handyfreie Zonen (z.B. Esstisch, Schlafzimmer, Ruheraum).
Reduziere die Anzahl der Apps auf deinem Smartphone. Schalte Töne und Benachrichtigungen aus.
Verwahre dein Mobiltelefon unter Verschluss, sodass es nicht sichtbar und griffbereit ist.
Schalte die Lesebestätigung im Chat aus. Auf diese Weise fühlst du dich weniger verpflichtet, sofort auf eine Nachricht zu reagieren.
Trainiere einen bewussten Umgang mit deinem Handy, mit den sozialen Medien und generell mit dem Internet.
Lagere Funktionen deines Handys aus:
Du kannst z.B. die Uhrzeit auf einer Armbanduhr nachsehen, ohne dafür den Griff zum Smartphone zu brauchen.
Nutze einen Taschenrechner, auch wenn dein Handy diese Funktion bietet.
Hypnose ist eines der ältesten Heilverfahren, die wir kennen. 2006 wurde sie vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) anerkannt. In der Regel kommen meine Praxisbesucher*innen zwischen drei und fünf Mal zur Behandlung, um eine Lösung für ihr Problem zu finden. Im Vorfeld einer Hypnosetherapie gegen Handysucht solltest Du organische Ursachen für dein Anliegen ausgeschlossen haben. Mehr über Jojo Weiß.
Herzliche Grüße, Jojo Weiß
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