Seit meiner Jugend hatte ich Angst vor der Höhe. Eine Hypnosetherapie half mir, wieder Freude am Erklimmen und Genießen von Höhen zu finden
Helge (Name geändert) ist siebenunddreißig, passionierter Berufsfotograf und seit sechs Jahren in einer Partnerschaft mit seinem Freund. Hinter seiner freundlichen und eloquenten Erscheinung verbirgt sich eine quälende Höhenangst. Schon der Gedanke, auf eine Leiter zu steigen oder vom Balkon herunterzuschauen, lässt ihn erstarren und verursacht ihm körperliche Symptome wie Schwindel, Schwitzen und ein starkes Kribbeln in den Gliedmaßen.
Im telefonischen Erstgespräch teilte mir Helge mit, dass er neben der Angst vor der Höhe auch mit der Angst vor Kontrollverlust kämpfe und deswegen nicht sicher sei, ob Hypnose für ihn das Richtige wäre. Sein Freund hätte jedoch gute Erfahrungen mit Hypnose gemacht und meine Webseite entdeckt.
Wir hatten von Anfang an einen guten Draht zueinander. Ich mochte Helges Humor und seine Liebe zur Fotografie sehr. Am Ende des ausführlichen Telefonats entschieden wir uns für eine Zusammenarbeit und vereinbarten zunächst drei Termine.
„Jojo, mein Traum war es, Naturfotograf zu werden und Reportagen für Magazine wie National Geographic und GEO zu machen. Ich wollte den Grand Canyon und die schottischen Highlands dokumentieren, wie es noch nie jemand zuvor getan hatte“, schwärmte Helge mit einem Anflug von Wehmut, als wir uns in der Praxis das erste Mal persönlich trafen.
Helge kam ursprünglich aus dem Süden Deutschlands und wuchs von Natur umgeben auf. Als Kind kannte er keine Höhenangst. Damals war er gerne auf Bäume geklettert und hatte dort oben, fern von der Welt geträumt.. Sein Lieblingsonkel hatte ihm eine Kamera geschenkt, mit der er ständig unterwegs war.
„Ich bin weder vom Baum gefallen, noch hatte ich ein traumatisches Erlebnis mit Höhe in der Kindheit oder während meiner Jugend. Meine Angst vor der Höhe und vor dem Fallen kam, als mir klar wurde, dass ich schwul bin. Es zog mir komplett den Boden unter den Füßen weg, als würde ich ins Unendliche fallen“, schilderte er mir sein Empfinden.
„Erzähl mir mehr darüber, wenn du magst. Wie du bereits aus unserem Telefonat weißt, war ich als Entertainer über zwanzig Jahre in Künstlerkreisen unterwegs; viele meiner ehemaligen Kollegen und Freunde sind schwul, und ich habe viel Respekt vor ihrem Weg“, ermutigte ich Helge weiterzureden.
Er ließ mich teilhaben an seiner Geschichte, an den inneren Konflikten, erzählte mir von den Schwierigkeiten mit seinen Eltern, vom dörflichen Umfeld, der handwerklichen Ausbildung, die er widerwillig absolviert hatte, und an seinem Coming Out, verbunden mit der Entscheidung, nach Berlin zu gehen.
In all dieser Zeit hatte sich die Angst vor der Höhe mehr und mehr gesteigert und schränkte seine Lebensqualität enorm ein.
„Ich und Grand Canyon“, lachte er. „Ich kann ja noch nicht mal mehr auf einem Stuhl stehen, ohne mir ins Hemd zu machen. Was bin ich froh, dass ich gelernt habe, so offen damit umzugehen und mit meinen Kunden im Studio Witze darüber machen kann“.
Helge hatte sich ein Studio eingerichtet, in dem er seinen Kunden Fotoshootings mit ausgefallenen Outfits anbot.
„Wie hast du deine Höhenangst wahrgenommen, wie hat sich das entwickelt?“, fragte ich nach und ergänzte: "Je besser ich das verstehe, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich dir entsprechende Alternativen anbieten kann und wir gemeinsam Lösungen finden.“
„Zuerst war mir häufig schwindlig, ich wollte nicht mehr auf meinen Lieblingsbaum klettern, dann bekam ich Angst auf Brücken und auf Mauern balancieren ging auch nicht mehr. Außerdem bin ich mehrere Male umgekippt, weil ich ohnmächtig wurde, bei Familienfeiern. Das erste Mal bei einer Hochzeit und später bei der Beerdigung meiner Oma“, antwortete Helge.
Wie bei vielen anderen Angststörungen auch, gesellten sich zu Helges Höhenangst auch andere Ängste hinzu. Helge war es sehr unangenehm, im Mittelpunkt zu stehen, da er ständig die Gefahr sah, bewertet und kritisiert zu werden.
„Hinter der Kamera und mit beiden Beinen auf dem Boden fühle ich mich am wohlsten; da habe ich alles im Griff“, sagte er vor der Trancearbeit.
Da er sich weder für eine Hypnose im Sessel noch für die Arbeit auf der Liege entscheiden konnte, bot ich ihm an, einen Spaziergang zu machen und ihm einen schönen Platz zu zeigen, an dem wir arbeiten könnten.
„Okay“, sagte er, „jetzt bin ich aber gespannt.“
Unweit meiner Praxis befand sich ein Hirschgehege in einem Park. Dort gingen wir hin und er war ganz begeistert von der Szenerie. Die Tiere kamen an den Zaun und ließen sich mit Blättern füttern. Da Helge sich hier sichtlich wohl fühlte, bot sich ihm an, seine Augen zu schließen und sich vorzustellen, er würde sich durch seine Kamera selbst dort stehen sehen, wie er die Hirsche fütterte.
„Wow, das geht erstaunlich gut, ich kann näher ranzoomen und die Schärfe einstellen. Klasse!“, rief er und lächelte dabei. Das Schnaufen der fressenden Hirsche und ihr Geruch machten das Ganze sehr realistisch, und Helge tauchte immer tiefer in diese Erfahrung ein.
Nach einigen Minuten leitete ich die Trance aus und wir unterhielten uns beim Zurückgehen in die Praxis über seine inneren Erlebnisse während der Hypnose.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich das so gut kann“, sagte er begeistert und fügte hinzu: „Wie abgefahren ist das denn, mitten in Berlin bei den Hirschen Hypnose zu erleben!“
Wir vereinbarten für die nächste Sitzung die Arbeit mit Fotos von ihm aus seiner Kindheit und Jugend und er sagte zu, welche mitzubringen.
„Guck mal, hier stehe ich auf einer Aussichtsplattform auf dem kleinen Matterhorn, das wäre heute undenkbar für mich. Allein die Fahrt mit der Gondel würde ich niemals schaffen, als Kind war das kein Problem “, sagte Helge, während wir eines der Fotoalben durchgingen, welche er mitgebracht hatte.
„Hier sitze ich hoch oben auf meinem Lieblingsbaum, ein alter Ahorn hinter unserem Haus. Der musste vor ein paar Jahren leider gefällt werden“, fuhr er fort.
Auf den Fotos war deutlich zu sehen, wie er im Laufe der Jahre immer ernster und verschlossener wirkte. Helge hatte von der Arbeit mit dem inneren Kind gelesen, welche durch das Wirken von Stefanie Stahl, insbesondere durch ihr Buch - Das Kind in dir muss Heimat finden - , einem breiteren Publikum bekannt wurde und fragte mich danach.
„Sehr gerne können mit deinem inneren Kind arbeiten. Wir haben es ja durch die Fotos schon aktiviert“, gab ich Helge zu verstehen.
„Ich würde gerne nochmal zum Hirschgehege gehen, weil es sich dort so gut angefühlt hat“, schlug Helge vor.
Dort angekommen warteten wir, bis sich eine Schulklasse entfernte, nachdem die Kinder die Tiere bestaunt hatten. Helge schloss die Augen, während die Hirsche hinter dem Zaun ganz nah waren und nahm Kontakt auf, mit dem kleinen Jungen in sich. Mitten in dieser für eine Therapiesession ungewöhnlichen Umgebung, ließ er seinen Tränen freien Lauf und er bemerkte nicht die Menschen, denen ich mit Blicken und dezenten Gesten andeutete, dass wir den Platz hier gerade für etwas Wichtiges brauchten.
„Ich zeige dem kleinen Helge meine Welt und gebe ihm die Geborgenheit und Sicherheit, die er sich wünscht und am allermeisten sag ich ihm, dass er völlig in Ordnung und liebenswert ist, genauso wie er ist“ , flüsterte Helge behutsam unter Tränen.
Wer sagt, dass Therapiearbeit in einem geschlossenen Raum stattfinden muss, dachte ich. Augenblicke wie diesen empfinde ich als Geschenk, im Beruf eines Hypnotherapeuten.
Auf den Rückweg in die Praxis schwiegen wir eine Weile, dann sagte sagte Helge: „Weißt du, mein Freund ist das krasse Gegenteil von mir, was den Umgang mit Höhe betrifft. Er ist sogar schon mit dem Fallschirm gesprungen und war beim Indoor-Skydiving und ich habe ihn dabei fotografiert. Ich muss weder Fallschirmspringen noch Bungee Jumping ausprobieren, aber eines weiß ich jetzt genau, ich hole mir meine Unbekümmertheit und meine Lust am Klettern zurück.“
In den folgenden Wochen übte Helge fleißig im Alltag. Er stieg auf Stühle, Tische, Leitern, ging auf Spielplätze mit Kletterspinnen und balancierte auf einer Slackline im Park. Sein Partner fotografierte ihn dabei und sie hatten jede Menge Spaß. In dieser Zeit gab mir Helge per Email immer mal ein update wie es lief und wir telefonierten zwischendurch.
„Mir ist aufgefallen, dass es mir hilft, wenn ich summe, falls die Angst kommt“, schilderte er im Telefonat. „Ebenfalls hilft mir, dem kleinen Helge gut zuzusprechen und mit meinem Freund rumzualbern, während ich meine Höhenangst abtrainiere. Ich bin richtig stolz, weil ich das erste Mal seit langem auf einem Baum gesessen habe und ich konnte es wirklich genießen.“
Die abschließende hypnotische Trancearbeit führten wir in der Praxis durch. Dazu bot ich Helge eine Musik an, mit der er später Selbsthypnose praktizieren konnte.
„Jetzt will ich es wirklich wissen,“ sagte Helge in der Abschlussbesprechung. „Ich habe einen Besuch im Klettergarten mit meinem Freund gebucht. Mir geht zwar schon noch die Düse, wenn ich daran denke, in den Baumwipfeln zu klettern, aber mit den Werkzeugen und Erfahrungen, die ich aus den Hypnosesitzungen mitnehme, fühle ich mich gut gerüstet.“
„Außerdem habe ich mit meinen Eltern telefoniert. Sie werden zum allerersten Mal nach Berlin kommen und ich habe das Gefühl, dass wir einiges zu besprechen haben.
Fazit: In Helges Fall gab es kein konkretes auslösendes Ereignis für seine Höhenangst. Nach seinem Empfinden waren es die starken Spannungen und innerpsychischen Konflikte beim Erkennen und Erleben seiner Homosexualität die zur Entstehung seiner Angststörung beigetragen hatten. Angst die Kontrolle zu verlieren, Ohnmachtsgefühle: Ängste vor Ablehnung., all diese Aspekte können sich in der Angst vor Höhe widerspiegeln. Für Helge war es eine Reise zu sich selbst, die ihm half seine Höhenangst soweit zu überwinden, dass er sich jetzt wieder viel freier bewegen kann,
Wissenswertes:
Höhenangst ist eine der am meisten verbreiteten Ängste. Laut einer Statistik von Statista leiden 21% unserer Bevölkerung unter der Angst vor großen Höhen. Die Ursachen scheinen unterschiedlicher Natur zu sein. Mit der Akrophobie gehen auch häufig Zwangsgedanken einher wie z.B. von einer Brücke oder auf ein Bahngleis zu springen. Es gibt auch Akrophobiker, die unter der Vorstellung leiden, andere Menschen von einer Höhe herunterzustoßen, obwohl sie dies rational gesehen niemals tun würden.
Über die genaue Ursache von Höhenangst gibt es verschiedene Theorien. Angefangen von traumatischen Kindheitserlebnissen bis hin zu einer natürlichen Schutzfunktion, die sich verselbstständigt hat, oder Angst vor der Höhe als Metapher für ungelöste Probleme im Leben der Betroffenen und organische Ursachen, werden viele Möglichkeiten in Betracht gezogen.
Hypnose ist eines der ältesten Heilverfahren, die wir kennen. 2006 wurde sie vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) anerkannt. In der Regel kommen meine Praxisbesucher*innen zwischen drei und fünf Mal zur Behandlung, um eine Lösung für ihr Problem zu finden. Im Vorfeld einer Hypnosetherapie bei Höhenangst / Akrophobie solltest Du organische Ursachen für dein Anliegen ausgeschlossen haben. Mehr über Jojo Weiß.
Hinter der Angst liegt die Freiheit.
Herzliche Grüße,
Jojo Weiß
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